Wandern & Bergsteigen
Piccard Rundweg: Das Highlight wartet am Talschluss
Vier Sehnsuchtsorte befeuern unsere Tour: Der Gurgler Ferner, wie hier die Gletscher genannt werden, das Ramolhaus und die Langtalereckhütte. Erstmal. Ständig sind sie in Sichtweite, schon gleich beim Einstieg in den Piccard Rundweg, der sich knapp 18 Kilometer lang zu beiden Seiten der Gurgler Ache zieht. Nur das absolute Highlight hält sich noch versteckt und überrascht uns erst last minute: Die kühne Konstruktion der neuen Piccard Brücke am Talschluss, direkt am Gletscher.
Bergführer Mario am Brunnen nicht weit von Obergurgl © Dagmar Gehm
Den Sommer im Rücken und den Winter im Blick
Verlaufen ist ausgeschlossen. Erstens zeigen knallgelbe Wegweiser regelmäßig die Richtung und zweitens gibt es eigentlich nur eine. Immer geradeaus, die Ache zur Linken. Den Sommer im Rücken und den Winter im Blick. Den ewigen Ferner, dessen Ewigkeit inzwischen das Haltbarkeitsdatum verliert. Und drittens bin ich mit Mario unterwegs, einem erfahrenen Bergführer vom Alpincenter Obergurgl.
Leicht zu finden war der Einstieg. Vom Ortszentrum Obergurgl auf 1.907 m folgt man dem beschilderten Weg bis zur Gurgler Ache. Von dort geht es hinauf über steile Grashänge bis zum ersten Orientierungspunkt Küppelalm auf 2.300 m. Die kleine, halb verfallene Almhütte dient heute den Schafhirten als Salz- und Kraftfutter-Unterstand.
An einem kleinen Fischteich kommen wir vorbei, in dem sich eins zu eins die schneebedeckten Bergriesen spiegeln. Je höher wir wandern, desto besser können wir in die Seitentäler der Gurgler Bergwelt hinein schauen.
Murmeltiere machen Männchen
„Im Hochsommer“, sagt Mario, „läuft die Sonne immer mit dir. Wenn du früh aufstehst, wirst du mit besonders schönen Bildern belohnt.“ Über mehr als sieben Brücken müssen wir gehen, unter denen kleine Sturzbäche, die sich vom Mannigenbach spalten, zu Tal rauschen. Wir balancieren auf schmalen Brettern oder über Steine, die jemand ins Wasser gelegt hat.
Der Duft wilder Blumen steigt uns in die Nase, Murmeltiere machen Männchen und pfeifen ihre Warnung so laut wie eine ganze Fan-Ecke im Fußballstadion bei einem Foul. Zwei Bartgeier kreisen über uns, „sie haben hier einen Horst mit zwei Jungen“, weiß Mario.
Überquerung des Mannigenbachs © Dagmar Gehm
Immer parallel zum 12 km langen Gurgltal wandern wir bald auf gleicher Höhe zur Talstation der Hohe Mut-Bahn, später sogar auf Augenhöhe mit ihrer Bergstation auf 2.670 Meter. Fast zum Greifen nah liegt die Karlsruher Hütte, wie sie von Einheimischen immer noch genannt wird und heute einen sperrigen Namen trägt, der sich so lang zieht wie das Tal: Langtalereckhütte.
Das Ramolhaus als Wolkenkuckucksheim
Das Ramolhaus schält sich aus dem wabernden Nebel © Dagmar Gehm
Wie eine Fata Morgana scheint das Ramolhaus in unerreichbarer Ferne zu rücken. Irgendwann stehen wir direkt unter dem hohen Felsvorsprung, auf dem die Hütte des DAV „Sektion Hamburg und Niederelbe“ thront. Wie ein Gemälde eingerahmt von fetten Wolken – Wolkenkuckucksheim! Was für ein magischer Moment! Vom Aufstieg rät Marco ab: „Du unterschätzt die Entfernung – wir haben noch eine weite Strecke vor uns.“ Gern hätte ich jetzt so viele Beine wie die lustigen Tausendfüßler, die unseren Weg kreuzen. Stattdessen gelobe ich Besserung, was die Schlagzahl der Fotostopps anbelangt. Zu viel gibt es aber auch zu sehen, auf jedem Schritt, nach jeder Biegung.
Gesicherter Abstieg zur Hängebrücke © Dagmar Gehm
Notlandung auf dem Gletscher
Gleich unterhalb vom Ramolhaus beginnt der neu angelegte Weg zur Piccard Brücke. Eingebaute Stiegen und Drahtseile führen uns durch steile Felsen. Unter uns spannt sich seit der Wandersaison 2017 die Piccard Hängebrücke in 100 m Höhe über die Schlucht.
„Im 18. Jahrhundert hatte der Gletscher seinen Höchststand erreicht. Damals konnte man einfach über den Ferner laufen, um auf die andere Seite zu kommen. Sogar einen Eissee hat es gegeben“, berichtet Mario. Immer mehr zog sich die Gletscherzunge zurück und erschwerte den Wanderern die Überquerung. Steinschlag und Hochwasser hatten mehrmals die vorherige Brücke beschädigt.
In unmittelbarer Nähe der neuen Hängebrücke war am 27. Mai 1931 der Schweizer Stratosphärenforscher Auguste Piccard notgelandet. Eine große glänzende Kugel im Ortszentrum von Obergurgl stellt den Ballon dar, mit dem der experimentierfreudige Professor und sein Assistent Ing. Paul Kipfer von Augsburg gestartet, als erste Menschen eine Höhe von 16.000 m erreicht und wegen eines technischen Versagens hier zur Notlandung ansetzen mussten.
Urgemütliche Langtalereckhütte
Langtalereckhütte und Hochgurgl sind schon in Sicht © Dagmar Gehm
Mario und ich scheinen dagegen auf dem Mars gelandet zu sein. Rote Felsen, wohin man schaut, auf der anderen Seite der Brücke auf dem Weg ins Langtal! Schön abgeflacht und angenehm zum Wandern sind die meisten – das perfekte Podest für den Blick auf Obergurgl-Hochgurgl!
Und oh Wunder – die langersehnte Langtalereckhütte rückt näher. Endlich Einkehr! Urgemütlich ist es in der Hütte der Sektion Karlsruhe des Deutschen Alpenvereins. „Meine Eltern“ stellt mir Mario die Senior-Pächter Melitta und Georg Gufler vor. „42 Jahre lang haben wir die Hütte geführt“, sagt Siggi. „Inzwischen unterstützen wir unseren Sohn Georg, dem ich inzwischen die Pacht übertragen habe, bei der Arbeit.“ Seit der neuen Brücke wird die Hütte wieder stark frequentiert: „Keiner hat mehr Angst, den Talkessel zu überqueren“.
Im Tiefflug mit dem Motocross
Während Melitta ein deftiges Essen vorbereitet – „unsere Spezialität sind Knödel in allen Variationen, Schweinsbraten und Gulasch“ – schaue ich mich ein bisschen um. Rund 70 Plätze bietet die Hütte inklusive Matratzenlager, Warmwasser und – ganz großer Luxus: Zwei alte Kachelöfen. Am liebsten möchte ich noch stundenlang hier bleiben. Doch Mario mahnt mal wieder.
Nebel zieht auf, und es ist schon so spät, dass er jetzt lieber schnell mit dem Motocross, das er hier abgestellt hat, nach Obergurgl fahren will. Also auf zum letzten Abenteuer! Im Tiefflug heizt Mario über den unbefestigten Weg, kaum dass ich mich an ihm festklammern kann.
Der letzte Streckenabschnitt per Motocross © Dagmar Gehm
Gerade hat uns in Schlagloch mal wieder gefühlte Meter in die Höhe katapultiert, als wir zur sanften Landung ansetzen. Wie einst Auguste Piccard. Punktgenau neben seinem silbernen Ballon im Ortszentrum. Der Kreis hat sich geschlossen. Der Rundweg auch.
(Titelbild: © Alexander Lohmann / Ötztal Tourismus | Info: Gastautorin Dagmar war im September 2017 auf dem Piccard Rundweg unterwegs)
Infos Piccard Rundweg
- Der 18 km lange Piccard-Rundweg ist mittelschwer und eignet sich für geübte Bergwanderer mit guter Kondition. Details zur Wanderroute findest du HIER
- Das Alpincenter Obergurgl findest du in der Gurglstraße 118, direkt neben der Tourist-Info, Tel.: +43 664 888 74 212 oder +43 5256 63 05 50
- Die Langtalereckhütte erreichst du unter der Telefonnummer +43 664 52 68 655 | HIER geht’s zur Website der Hütte
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Gastautorin Dagmar Gehm © Zhengrong Liu
Gastautorin Dagmar Gehm
Die Hamburger Journalistin und sportliche Globetrotterin ist langjähriger Fan des Ötztals, weil sie sich der Faszination der Kontraste nicht entziehen kann:
- Action – Abgeschiedenheit,
- Rausch der Geschwindigkeit – Relaxen in der Ruhe,
- uralte Rituale – am Puls der Zeit.
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