Lifestyle

Himmlischer Höllenritt

Das Timmelsjoch mit dem Top Mountain Crosspoint

Alban Scheiber gibt alles. In sportlicher Schräglage heizt er mit seiner schweren Maschine die engen Serpentinen hinauf, immer hart am Abgrund des Timmelsjochs entlang, ausgebremst nur durch die halbhohe Befestigung. Zigfach hallt der satte Sound des dröhnenden Motors von den Bergen wider, bringt das Blut zum Kochen, löst Adrenalinschübe aus und sorgt für ein Gipfelerlebnis der besonderen Art. Zum Abheben schön! Alban sagt, dass er spüre, ob ein Beifahrer Angst hat oder nicht. Ich habe keine – also gibt einer der besten Motorradfahrer Österreichs Gas. Vollgas. Allen anderen voran und dann lange erstmal gar nichts.

Von Rom nach Hamburg

Eine Gruppe von Harley Davidson-Fahrern hat Alban im Passeiertal in Südtirol abgeholt, chinesische Biker, die mit dem norddeutschen Breitenfelde Chapter (Motorradclub) von Rom aus unterwegs sind zu den „Hamburg Harley Days“.

Das neue Motorcycle-Museum will er ihnen zeigen, das er zusammen mit seinem Zwillingsbruder Attila auf 2.175 m Höhe am Top Mountain Crosspoint eingerichtet hat. In Hochgurgl, zu Füßen des Timmelsjochs, über das im Sommer Tiraden von Bikern preschen, wo sich aber auch die Spreu vom Weizen trennt.

chinesische Biker auf dem Weg zum Top Mountain Motorcycle Museum
Chinesische Biker und der norddeutsche Motorradclub Breitenfelde Chapter auf dem Weg zum Top Mountain Motorcycle Museum.
© Dagmar Gehm
Giacomo Augistini neben seiner Siegermaschine Augusta
Giacomo Agostini neben seinem Siegerbike, einer roten MV Agusta 500.
© Dagmar Gehm

Leihgabe einer Rennfahrer-Legende

Im April sind die 49-jährigen Zwillinge mit dem höchstgelegenen Motorcycle Museum Europas an den Start gegangen. Kein Geringerer als Giacomo Agostini, den 15 Weltmeistertitel im Motorradrennen zum erfolgreichsten Rekordhalter aller Zeiten katapultiert haben, war Taufpate.

Sein Siegerbike, eine rote MV Agusta 500, hat der smarte Italiener gleich als Leihgabe im Museum gelassen.

Blitzendes Chrom, glänzendes Leder

Dort nimmt das legendäre Modell neben all den anderen historischen Motorrädern einen besonderen Platz ein. „170 Exponate waren eigentlich unser Ziel“, sagt Alban, „daraus sind inzwischen schon rund 230 geworden.“ Liebevoll auf Hochglanz polierte Prachtexemplare wie zu ihren besten Zeiten, verteilt auf eine Ausstellungsfläche von 3.000 qm.

Davon, dass ihre Zweiräder eine Seele besitzen, sind die Zwillinge, die von ihrem Vater bereits im Alter von sechs Jahren kleine Motorräder geschenkt bekamen und in deren Adern seitdem Benzin fließt, restlos überzeugt. Besonders stolz sind Alban und Attila, dass über 85 Prozent der ausgestellten Motorräder fahrtüchtig sind. Highlights aus über 100 Jahren, die auch die Herzen jener Besucher höher schlagen lassen, die sonst mit Krafträdern nichts im Sinn haben. Mit Sonderausstellungen wie Beiwagen, Scooter oder Kutschen soll ohnehin für Abwechslung gesorgt werden.

Alban und Attila Scheiber, Besitzer des Top Mountain Motorcycle Museum
Alban und Attila Scheiber auf einer Indian Chief Maschine.
© Dagmar Gehm

„Wir sind moderne Straßenräuber“

Trotz des Prestigeobjekts bleiben die Scheiber-Brüder geerdet. „Wir sind moderne Straßenräuber“, scherzen sie unisono. Schließlich erfüllt der Top Mountain Crosspoint, der auch erst im November 2015 eröffnet wurde, vier verschiedene Funktionen:

Als Mautstelle am Fuße der Timmelsjoch-Hochalpenstraße, als Bedienungsrestaurant, das mit schwebenden Motorrädern bestückt ist und als Talstation der neuen, megamodernen 10er Gondelbahn zum Kirchenkar auf 2.629 m, mit der sich für Skiläufer der fünfte Einstiegspunkt ins Skigebiet Hochgurgl-Obergurgl eröffnet. Der Tiroler Archtitekt Michael Brötz hat den Gebäudekomplex einer geschwungenen Schneewechte nachempfunden. Vollkommen harmonisch fügt er sich in das Landschaftsbild ein.

60 Serpentinen als sportliche Herausforderung

Wie ein Magnet zieht die Timmelsjoch-Hochalpenstraße im Sommer Motorradfans aus aller Welt ein. Die meisten legen dann auch einen Boxenstopp im Top Mountain Crosspoint ein. Von Obergurgl (1.907 m) führt die Panoramastraße die Nordrampe hinauf bis auf das 2.509 m hoch gelegene Timmelsjoch oder Passo Rombo, wie es auf Italienisch heißt, einem der höchsten befahrbaren Pässe Europas. Und von dort steil bergab auf der kurvenreichen Südrampe bis St. Leonhard (693 m) im Passeiertal. 43 Kilometer lang insgesamt.

Mit rund 60 Serpentinen windet sich das graue Band durch die Ötztaler Alpen mit ihren imposanten Dreitausendern, vom Ötztal ins Passeiertal, von Tirol nach Südtirol, von Österreich nach Italien. Oder umgekehrt. Eine sportliche Herausforderung für Motor- und Mountainbiker, ein Genuss für Kunst- und Architekturbegeisterte.

Top Mountain Cross Point Aussicht, Obergurgl-Hochgurgl, Tirol
Top Mountain Crosspoint in malerischer Berglandschaft.
© Alexander Lohmann/Bergbahnen Obergurgl-Hochgurgl

Schmuggler zwischen Kunst und Kurven

„Geh heut nicht fort, mich plagt ein böses Ahnen! So spricht des Schmugglers Weib“ heißt es in einer alten Moritat aus der Grenzregion. Einer, der fortging, war Michael Etschmann. Als Junge schmuggelte er für die Familie Saccharin, Butter zum Überleben und Zigaretten für ein bisschen Entspannung. „Nie haben mich die Zöllner erwischt, wenn ich meine Schätze von Obergurgl über den Pass nach Hause brachte“, erinnert sich mit verschmitztem Lächeln der heute 83-jährige „Speck-Michel“, Seniorchef vom Gasthof Schönau auf italienischer Seite des Timmels, wo inzwischen Sohn Stefan den besten Speck weit und breit räuchert, wie die Einheimischen versichern.

Wie ein Schatten verschmolz der junge Älpler mit der Finsternis im Wald.
Wie ein Schatten wirkt auch die Silhouette in dem Kubus „Schmuggler“, eins von fünf Kunstwerken, mit denen der Südtiroler Architekt Werner Tscholl die Alpenhochstraße zur „Timmelsjoch-Erfahrung“ macht. Oder zur „Er-Fahrung“ – wie auch immer. Zwischen Mythos und Moderne hat er seine starken Objekte angesiedelt, als Infopoints, die auch neue Blicke auf die uralte Geschichte, Kultur und Hochgebirgslandschaft der Grenzregion vermitteln. „Ganz bewusst habe ich keine reinen Kunstwerke geplant, sondern Skulpturen, die begehbar und nutzbar sind“, sagt Tscholl.

Gern lässt man sich durch die auffälligen Kunstobjekte ausbremsen. Wie durch das Passmuseum, das einem Findling ähnelt. Die „Eishöhle“ in seinem Inneren zollt jenen Pionieren Tribut, die am Bau der kühnen Nord-Süd-Verbindung beteiligt waren.

Attila Scheiber vor dem Foto seines Vaters - Obergurgl-Hochgurgl, Tirol
Alban Scheiber vor dem Foto seines Großvaters Angelus Scheiber.
© Dagmar Gehm

2018: Jubiläum 50 Jahre Timmelsjoch

Kurze Unterbrechung des himmlischen Höllenritts mit Alban Scheiber im Passmuseum. Stolz stellt er sich vor dem überlebensgroßen Fotos seines Großvaters Angelus Scheiber in Positur. Gleiches Aussehen, gleiche Haltung. Gleicher Unternehmergeist. Er und sein Zwilling Attila.

Das traf schon auf den Vater der Zwillinge zu – ebenfalls ein Alban Scheiber. Auch er setzte Zeichen als Rennfahrer und Hotelier. Doch begonnen hat die Erfolgssaga mit Angelus. Anfang der 1950er Jahre greift der Ötztaler Tourismuspionier den im Ersten Weltkrieg ad acta gelegten Plan wieder auf, den Anschluss über die Staatsgrenze hinaus zur bereits bestehenden Militärstraße auf Südtiroler Seite zu schaffen.

Nach nur 17-monatiger Bautätigkeit wird die Straße zum Pass fertiggestellt, doch erst 1968 der länderübergreifende Verkehr der neuen Nord-Süd-Verbindung freigegeben. In zwei Jahren – 2018 – feiert die Timmelsjoch-Hochalpenstraße ihr 50-jähriges Bestehen.

Nervenkitzel rund ums Jahr

Vorher komme ich zurück nach Obergurgl. Im nächsten Winter, um vielleicht mit Attila Scheiber das Kirchenkar hinunter zu heizen. Auf Skiern, versteht sich, und das ist mal keine neue Er-Fahrung, denn vor Jahren war Attila mein Skilehrer. Mit Alban auf dem Motorbike den Timmel hinauf, mit Attila zum Timmel hinunter. Für einen Nervenkitzel ist Obergurgl-Hochgurgl immer gut. Und zwar rund ums Jahr!

Infos Top Mountain Motorcycle Museum
Eintritt: 10 Euro p.P., Ermäßigung für Gruppen und Inhaber der Ötztal Card, bzw. Ötztal Premium Card
Geöffnet: Tgl. 9 – 19 Uhr, bis Saisonende am 24. April, dann wieder mit Eröffnung des Timmelsjoch, voraussichtlich im Mai.
www.obergurgl.com/top-mountain-crosspoint

Fotos: Alexander Lohmann (5), Dagmar Gehm (7), Zhengrong Liu (1)

Autorenbild Dagmar Gehm
Gastautorin Dagmar Gehm © Zhengrong Liu

Dagmar Gehm

Die Hamburger Journalistin und sportliche Globetrotterin ist langjähriger Fan des Ötztals, weil sie sich der Faszination der Kontraste nicht entziehen kann:

  • Action – Abgeschiedenheit,
  • Rausch der Geschwindigkeit – Relaxen in der Ruhe,
  • uralte Rituale – am Puls der Zeit.

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Gastautor

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... verschiedene Gastautoren berichten über ihre Erfahrungen im Ötztal.

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